Photo: Andy Earl Athlete: Big Wall Paul Location: Southern Utah

Lange bevor sich der von allen geschätzte Tyler Willcutt zum Athlete Manager bei Black Diamond hochgearbeitet hatte, war er, gelinde gesagt, ein klassischer Kletter-Dirtbag. Und an dieser Stelle beginnt unsere Geschichte – mit einem jungen, arglosen, vom Klettern und Erstbegehungen besessenen Willcutt, der bei seinem Mitbewohner Jimmy Webb auf der Couch sitzend seine erste „professionelle“ E-Mail an seinen neuen Materialsponsor verfasste: Black Diamond Equipment.

Lieber Kolin Powick, schrieb Willcutt ungefähr um 1:45, mitten in der Nacht. Ich habe eine geniale Idee für ein neues Produkt.

Natürlich wollen wir Willcutt nicht seinen Enthusiasmus vorhalten, aber wir können uns lebhaft vorstellen, dass dieses Juwel einer E-Mail unserem eingefleischten Climbing Category Director „KP“ erst einmal ein unverhohlenes Augenrollen entlockt hat. Doch was folgte, kann man getrost als genial bezeichnen.

Die Idee war, eine Materialschlinge mit Farbcodierung zu entwickeln, die mit den eloxierten Klemmsegmenten und farbigen Schlingen der Black Diamond Camalot übereinstimmte. Ganz einfach, oder? Auf diese Weise würde es möglich sein, die Ausrüstung dementsprechend zu sortieren, mit den goldenen 2ern auf der goldenen Schlinge, den blauen 3ern auf der blauen Schlinge und so weiter. Aber die eigentliche Raffinesse, wie bei Black Diamond als interessante Hintergrundgeschichte erzählt wird, bestand in ihrem Namen.

I ich nenne sie die Willcutt …

Weil sie die Zeit „halbieren wird“ (engl. „WILL CUT“), schrieb Tyler. EIn schönes Wortspiel in englischer Sprache!

Photo: Andy Earl

Obwohl KP mit ziemlicher Sicherheit sah, wie die Willcutt funktionierte, ist die triste Wahrheit dennoch, dass die Willcutt Materialschlinge bis heute nicht verwirklicht wurde.

Im Allgemeinen konnten sich Materialschlingen und deren Verwendung nicht durchsetzen und haben sich wie die Tricam aus unserem Blickfeld verabschiedet. Heutzutage ist es wahrscheinlicher, eine schöne, gepolsterte Black Diamond-Materialschlinge quasi als Dekoration an der Wand eines Ausrüstungslagers zu entdecken. Sie ist dazu verdammt, Ausrüstung zur Aufbewahrung an sich hängen zu haben, anstatt eine muskelbepackte Schulter zu zieren, die gerade mit dem dazugehörigen Menschen in einem Fingerriss wie dem Phoenix (5.13a) unterwegs ist.

Somit leuchtet uns ein, warum KP die Möglichkeit nicht beim Schopf ergriff, ein Designteam auf die Willcut anzusetzen. Es bestand einfach kein Bedarf.

Aber warum? Gibt es einen Grund, warum wir heutzutage kaum noch Materialschlingen sehen?

In dieser Ausgabe der Ausrüstungsmythen befassen wir uns mit dieser Frage und versuchen herauszufinden, ob Materialschlingen in der modernen Kletterwelt noch eine Existenzberechtigung haben, die über ein Dasein als Schlinge zur Aufbewahrung von Hardware in deinem Ausrüstungslager hinausgeht, und ob moderne Klettergurte und ihre schlanken, formgepressten Materialschlaufen am Hüftgurt ihr mittlerweile den Rang abgelaufen haben. Gibt es eindeutige Vorteile auf beiden Seiten? Und noch wichtiger, was bevorzugen die meisten Kletterer und Kletterinnen und warum?

Schlinge oder Schlaufe?

Wir beschlossen, uns mit einigen der besten Trad-Kletterern und Kletterinnen im Black Diamond-Team zu unterhalten, um das Thema näher zu beleuchten.

Den Anfang machte Babsi Zangerl. Als Nat Geo 2019 Adventurer of the Year ist Babsi eine namhafte Österreicherin, die mit der zweiten Begehung von Magic Mushroom (5.14a/8b+) am El Cap sowie einer Reihe anderer harter Trad-Routen in diesem Schwierigkeitsgrad von sich reden machte, darunter auch die dritte Begehung der anspruchsvollen Route Prinzip Hoffnung (5.14R/8b+) sowie drei weitere, rare Begehungen der frei gekletterten El Cap-Routen El Nino (5.13c/8a+), Zodiac (5.13d/8b) und Pre Muir (5.13c/8a+). Mit diesen Trad-Erfahrungen hat sich auch Babsi bereits mit der Frage auseinandergesetzt, die uns beschäftigt. Materialschlinge oder Materialschlaufen am Klettergurt?

Photo: Francois Lebeau Athlete: Babsi Zangerl Location: Magic Mushroom (VI 5.14a), Yosemite

„Ich bevorzuge die Materialschlaufen, da die Ausrüstung an der Seite des Klettergurts gut aufgeräumt und aus dem Weg ist“, begründet Babsi ihre Meinung. „Wenn du eine Materialschlinge verwendest, stört es immer ein wenig, wenn das Material vor der Brust baumelt.“

Obwohl Babsi betonte, dass sie es generell stört, wenn eine Schlinge um Schulter und Brust hängt, fügte sie noch hinzu:

„Für Prinzip Hoffnung habe ich eine Materialschlinge verwendet. Das ist eine lange, sehr harte Trad-Route in Österreich. Es war auf diese Weise einfacher, genau die richtige Reihenfolge vorsortierter Sicherungen beim Klettern bereitzuhalten. Auf der Schlinge hast du immer die nächste Sicherung parat, die du gerade benötigst. Es ist dabei egal, ob du die linke oder die rechte Hand verwendest. In der Route waren die Sicherungen schlecht und kleine Klemmkeile nur schwer zu platzieren. Die ganzen Micronuts sehen sich sehr ähnlich und ich wollte sie nicht an den Materialschlaufen des Klettergurts haben und Zeit mit der Suche nach der richtigen Größe verschwenden. In der 50 Meter langen Route musste ich eine Menge unterschiedlicher Ausrüstung dabeihaben. In diesem Fall war die Schlinge die bessere Wahl.“

Für Babsi war das jedoch eine Ausnahme. Im Allgemeinen sagt sie, dass sie „lieber die Materialschlaufen an ihrem Klettergurt benutzt“.

„Die Bewegungsfreiheit beim Klettern ist viel besser. Nichts hängt im Weg herum. Einfach ein besserer Stil.“

Schön und gut. Wenn sie also nicht gerade in einer mit R bewerteten Horrorroute unterwegs ist, in der eine Armada an Micros in der richtigen Reihenfolge versenkt werden müssen, ist Babsi durch und durch Materialschlaufen-Fan.

Wie sieht es mit der Trad-Kletterin Hazel Findlay aus? Hazel begann in einem Alter Sicherungen im Gritstone zu legen, in dem die meisten von uns noch auf Laufrädern umherflitzten. Außerdem ist sie eine echte Britin, daher wussten wir, dass sie eine Meinung haben würde.

Photo: Andy Earl Athlete: Hazel Findlay Location: Southern Utah

„Ich habe meinen Klettergurt, also brauche ich keine weiteren Möglichkeiten für meine Ausrüstung“, sagte Hazel geradeheraus.

Sie erklärte:

„Ich mag es nicht, wie die Schlingen herumschwingen und nur auf einer Seite und einer Schulter hängen.“

Besitzt eine Schlinge dennoch bestimmte Vorteile?

„An einer Schlinge hat mehr Material Platz, vor allem wenn du gleichzeitig die Materialschlaufen nutzt“, sagte Hazel. „Du kannst die Schlinge von einer Seite auf die andere schieben und sie am Stand einfach deinem Partner umhängen.“

Schnell unterstrich Hazel jedoch, dass die alleinige Verwendung der Materialschlaufen am Klettergurt sie „motivierte, weniger Ausrüstung mitzuschleppen“!

Gesprochen wie eine echte Britin.

Sie fuhr fort:

„Wenn du nicht total oldschool und wie ein Idiot aussehen willst, lässt du die Materialschlinge besser zuhause.“

Autsch.

OK, nun kennen wir Hazels Standpunkt. Möglicherweise hat sie Recht. Vielleicht sollten wir mit jemandem der alten Garde sprechen. Ihr wisst schon, die harten Jungs, die von den alten Zeiten schwärmen, als man sich einfach nur ein Seil um die Hüften schlang und passive Sicherungen legte, um in dicken EBs und weißen Malerhosen eine total krasse 6c zu klettern. Wir mussten gar nicht so weit in die Vergangenheit zurückblicken, um herauszufinden, dass es in einem blühenden Oldschool-Paralleluniversum tatsächlich noch Materialschlingen im Einsatz gab.

Ein Fall für Schlingen

Wir wandten uns an Doug Chabot, Kletterveteran, Bergsteiger und furchtloser Einwohner von Montana, der normalerweise bereits drei Seillängen eines WI 5-Eiswasserfalls geklettert ist, wenn du an einem eiskalten Wintermorgen gerade deinen ersten Kaffee schlürfst. Wie wir bereits vermuteten, ist und bleibt Doug ein Verfechter von Materialschlingen. 

„Beim Trad-Klettern bin ich ein Fan der Materialschlinge, gehöre aber wahrscheinlich zu einer schrumpfenden Minderheit“, gab Doug zu. „Ich habe oft ausprobiert, nur mit den Materialschlaufen am Klettergurt auszukommen, fand es aber meistens frustrierend.“

Doug nannte uns zwei Hauptgründe, warum in seinen Augen die glorreichen Tage der Materialschlinge noch lange nicht vorbei seien.

1. Auf diese Weise kann ich immer meine ganze Ausrüstung mit der einen oder anderen Hand erreichen, unabhängig von meiner Position an der Wand oder mit welcher Hand ich am Eisgerät hänge. Ich bin nicht so beweglich, das heißt, wenn ich meine rechte Hand hoch in einem Riss stecken habe, komme ich an die Ausrüstung an meiner zweiten Materialschlaufe rechts nicht mehr heran.

2. Es ermöglicht mir eine größere Mobilität, da ich die Schlinge wie ich es gerade brauche auf beiden Seiten tragen kann, z. B. in einem Kamin oder weiten Riss.

Aha! Es scheint also ein übergreifendes Thema zu geben. Habt ihr die subtilen, aber wichtigen Wörter wie weiter Riss, Kamin oder Hand am Eisgerät bemerkt? Es sieht so aus, als ob Dougs bevorzugter Kletterstil der Grund ist, warum er weiterhin Materialschlingen verwendet. Außerdem wies er darauf hin, dass in Mehrseillängenrouten eine Materialschlinge erforderlich sei, um sich im Vorstieg abzuwechseln.

„Es dauert einfach zu lange, wenn die ganze Ausrüstung am Klettergurt hängt.“

Und Hazels Oldschool-Kommentar konterte er so:

„Gut organisierte Ausrüstung an einer Materialschlinge sieht cool aus. An einem Klettergurt sieht das wie ein besserer Schrottplatz aus, wenn sich Schnüre, Tiblocs, Camalots, Klemmkeile, Expressen und sonstwas aufeinanderstapeln. Schnell, aufgeräumt, einfach zu wechseln, vielseitig für alle Klettersituationen = Materialschlinge.“

Touché.

Nachdem wir mit Doug gesprochen hatten, trafen wir noch andere Alpinisten, um zu herauszufinden, ob die Gemeinsamkeiten hinsichtlich des bevorzugten Stils beweisen würden, dass Materialschlingen lediglich im Massensport des Sportkletterns oder unter den modernen Trad-Kletterern an Beliebtheit verloren hatten, und dass der anschließende Verfall der Kunst des Leidens, auch als Alpinismus bekannt, direkt mit dem Niedergang der Schlinge zusammenhing.

Matt Helliker, ein britischer Alpinist, der keine Anstrengung scheut, stimmte dieser Beobachtung zu.

„Im Sommer trage ich meine Ausrüstung am Klettergurt, im Winter lieber an einer Materialschlinge“, erzählte er. „Normalerweise hänge ich Klemmkeile und Quickdraws an die Materialschlinge, damit ich sie schnell zur Hand habe, sowie einige längere Stücke wie Hexes für den Winter. Die Materialschlinge ist auch hilfreich, wenn du schnell Material zurückhängen musst, weil du gepumpt bist oder nach einem anderen Teil suchst und du das gesamte Rack durchgehen musst, um in einer schwierigen Situation genau die richtige Sicherung zu finden.“

Auch Jon Bracey, ein in Chamonix ansässiger Brite, der im Alpinismus zuhause ist, leistete einen Beitrag zu unserem Dialog.

„Beim Alpinklettern bedeutet die Kombination aus dicker Kleidung und einer potentiell größeren Menge an Ausrüstung für mich, dass ich zusätzlich zu den Materialschlaufen am Gurt eine Materialschlinge dabeihabe“, sagt Bracey. „Meine Standardausrüstung besteht aus ein paar Stoppern und Cams an der Materialschlinge und Quickdraws am Klettergurt.“

Passend zur alpinen Theorie fügte Bracey hinzu, dass er beim Sportklettern eher die Materialschlaufen verwendet, weil das Material nicht im Weg hängt und leicht zugänglich ist.

Könnte es sein, dass die schwindende Popularität der Materialschlingen damit zusammenhängt, dass immer weniger Kletterer und Kletterinnen im Oldschool-Stil durch die Berge ziehen, womit wir wieder bei unseren Schlüsselbegriffen „weite Risse“, „Kamine“ und „verschneite Gipfel“ wären? 

Zusammenfassung

Wir beschlossen, die Person zu fragen, die dieses Phänomen genauer beobachtet hat, als alle anderen: Black Diamond Climbing Category Director und Ausrüstungsguru Kolin „KP“ Powick.

Für KP, der den Aufstieg und Niedergang von Innovationen im Bereich Kletterausrüstung beruflich verfolgt, hat die Antwort auf die Frage, warum Materialschlingen immer seltener werden, verschiedene Gründe.

„Als ich mit dem Klettern anfing, hat man einfach Materialschlingen verwendet“, sagte er. „In den 90igern sind wir vor allem Mehrseillängenrouten im Trad-Stil in den kanadischen Rocky Mountains geklettert.“

„Nur ein paar Jahre später in den 2000ern, nachdem ich nach Salt Lake City gekommen war, trugen die meisten Leute ihre Ausrüstung schon am Klettergurt.“

Ein Grund, KPs Ansicht nach, ist einfach der Trend – wie Hazel schon sagte, war das Tragen der Ausrüstung am Gurt einfach hip. Er glaubt jedoch auch, dass außerdem eine Reihe von praktischen Gründen gibt.

„Ausrüstung wurde im Laufe der Zeit immer leichter, es hat mehr Ausrüstung Platz am Klettergurt und die Materialschlinge, vor allem als die Routen steiler wurden, zog dich einfach nach hinten, schwang hin und her und erwies sich als weniger effizient.“

Die wichtigste Information besteht jedoch darin, dass die Materialschlaufen an den Klettergurten seit damals immer weiter verbessert wurden.

„Unsere Black Diamond-Klettergurte haben inzwische formgepresste Materialschlaufen. Wenn Ausrüstung daran befestigt wird, rutscht diese nicht zu einem „V“ zusammen, wie bei den alten Materialschlaufen aus Gurtband.

Und verwendet KP selbst lieber einen modernen Klettergurt mit Materialschlaufen für seine Ausrüstung?

„Ich habe gerne alles perfekt aufgeräumt, daher trage ich bestimmte Teile an der rechten Materialschlaufe, andere Teile hinten, vorne links und hinten links. Ich mag diese Aufteilung, daher bin ich von einer Materialschlinge auf Materialschlaufen am Klettergurt umgestiegen.“

KP fügt jedoch hinzu, dass es noch immer Situationen gibt, in denen eine Materialschlaufe sinnvoll ist. Vor allem in langen Mehrseillängenrouten. „Es ist einfach leichter, das Material am Stand zu übergeben“, erklärt er.

Was die eingefleischten Alpininsten angeht, findet er, dass sie sicher nicht unrecht haben, andererseits meint er: „Einem alten Hund bringst du keine neuen Tricks mehr bei.“

Es bleibt noch eine abschließende Frage. Wenn KP sich selbst als „Ordnungsfetischist“ bezeichnet, warum packte er die Gelegenheit mit der Willcutt nicht beim Schopf, obwohl Ordnung die Hauptfunktion dieser Schlinge war?

„Lass uns kurz zurückblicken“, sagte KP. „Ich habe schon immer eine abgeteilte Materialschlinge verwendet, niemals eine durchgehende Schlinge. So musste ich nur von dieser Aufteilung auf die Schlaufen am Klettergurt umsteigen.“

„Aber die Willcutt...“, fügte er noch hinzu, „ist interessant, da sie in Wahrheit NICHT als Materialschlinge zum Klettern gedacht war, sondern als Materialschlinge für die Organisation am Boden.“

„Aber hier ist der Deal“, fasst er zusammen.

„Erstens, wenn ich mir die Verkaufszahlen der Materialschlingen über die letzten Jahre hinweg ansehen würde, würden wir einen beständigen Rückgang sehen, da die Leute, wie ich schon sagte, Materialschlingen nicht mehr so häufig nutzen. Daher bin ich nicht sicher, ob die Gesamtmenge an verkauften Schlingen eine zusätzliche Version rechtfertigen würden, zumal die Willcutt aufgrund ihrer Zusatzfunktion im Vergleich zu einer normalen Materialschlinge teurer wäre. Zweitens glaube ich nicht, dass es so viele Leute gibt, die ihr Material am Boden sortieren wollen und dafür Geld ausgeben würden. Freilich gäbe es Leute, die sie beim Klettern in einer Route nutzen würden, dies führt uns jedoch wieder zu Punkt 1 zurück.“

„Aus diesem Grunde haben wir die Willcutt nicht hergestellt … noch nicht.“

Als wir Tyler Willcutt nach dem Anhören von KPs Schlussfolgerung um einen Kommentar baten, antwortete er nur:

„Es gibt also noch eine Chance?“

-- Text von BD Content Manager Chris Parker