Die Helmcken Falls haben vor 10 Jahren das Eisklettern für meinen Black Diamond-Teamkollegen Tim Emmet und mich neu definiert, und noch heute stellt meine dort gemachte Erfahrung die Messlatte dar, an der ich mich beim Eisklettern stets orientiere. Der 141 m hohe Wasserfall gefriert niemals, aber die umliegenden Strukturen sind durch den Sprühnebel von einer Eisschicht überzogen. Es ist wie ein gigantisches Fussballstadion, das in der Mitte durchtrennt wurde und von dessen Dach ein Wasserfall herabstürzt. Die durchgehend überhängenden Wände sind mit unzähligen wilden Eisformationen übersät, die wie kleine Dämonen auf uns herabblicken. Als Eiskletterer fühlst Du Dich magisch angezogen, aber auch für Felskletterer ist es eine Sehenswürdigkeit, wie die Sintersäulen von Griechenland oder Thailand, die immer zum Klettern einladen.
Das vulkanische Gestein ist extrem brüchig und es finden sich kaum durchgehend solide Risse, sodass mobile Sicherungen normalerweise keinen guten Halt bieten. Wenn sich das Sprüheis bildet, stürzen regelmässig tennisplatzgroße Gesteinsbrocken in die Tiefe. Einmal war ich dort und fand die gesamte erste Seillänge einer Route, die Tim und ich im Vorjahr begonnen hatten, auf dem Boden verteilt. Gesteinsbrocken gemischt mit Bohrhaken und Sprüheis, welches das Gestein sprichwörtlich von der Wand gepellt hatte. Bohrhaken sind normalerweise sehr solide, aber an den Helmcken Falls kannst Du Dir nie ganz sicher sein. Für mich stellen Bohrhaken immer eine Art Niederlage dar. Sie machen das Klettern überall möglich, aber noch cooler ist es, nur mit mobilen Sicherungen zu klettern. Es ist wie mit einem Motor im Vergleich zum Laufen oder Radfahren aus eigener Kraft, am Ende des Tages fühlt es sich einfach besser an. Wenn wir über Ethik sprechen, geht es jedoch meistens ums Ego und Selbstdarstellung, daher halte ich mobile Sicherungen nicht für ethischer. Für mich sind sie einfach interessanter. Ich habe am Helmcken ein paar Eisschrauben getestet, aber sie fanden in dem weichen Eis keinen Halt. Also mussten wir Bohrhaken verwenden. Aber was wäre wenn...
Vor drei Jahren kletterte ich die Niagara Falls mit Sarah Hueniken, und Black Diamond fertigte ein paar Sicherungen speziell für weiches Eis an – Spectres mit einem kleinen Schaufelblatt an der Rückseite. Das BD Design Team stellte diese kleinen Haken in ihrer Freizeit her – eine Gruppe hochmotivierter Kletterer, die total begeistert waren, neue Ausrüstung zu entwickeln. Ich verwendete die neuen Spectres im extrem weichen Sprüheis der Niagara Falls. Aber ich fragte mich, was ich noch mit ihnen anfangen könnte. Die Antwort lag auf der Hand, als ich das wilde Sprüheis der Helmcken Falls sah: Das muss ich mit den Niagara Spectres, den neuen Ultralight Eisschrauben und vielleicht noch ein paar anderen neuen Erfindungen versuchen! Ich brauchte nur jemanden, der verrückt genug war, mich bei diesem Vorhaben zu unterstützen.
Sarah Hueniken und ich klettern viel zusammen, wenn wir nicht unseren Berufen nachgehen oder uns in unserem gemeinsamen Zuhause entspannen. Als ich vorschlug, die Helmcken Falls nur mit mobilen Sicherungen zu begehen, brachte sie ihre Position der Vernunft zum Ausdruck, oder in anderen Worten: „Sei kein Idiot!“ Sie bezieht diese Position häufig, was mich in der Vergangenheit sowohl genervt als auch mein Leben gerettet hat. Aber schliesslich beschlossen wir, zu den Helmcken Falls zu reisen und es zu versuchen. Für ein solches Vorhaben brauchst Du nicht nur jemanden zum Sichern, sondern einen Kletterpartner oder -partnerin auf Augenhöhe. Der Unterschied ist, dass eine zweite Person das Gesamtbild erkennt und es Dir sagt, ganz gleich, ob Du es hören willst oder nicht.
Ich machte mir Sorgen, dass mir ausreissende Spectres bei einem Sturz die Augen ausstechen könnten, also kaufte ich mir als Kanadier einen gebrauchten, vergitterten Eishockeyhelm, um mein Gesicht zu schützen. Normalerweise verwende ich den Vapor Helm, aber Black Diamond stellt keinen Gesichtsschutzschild dafür her … noch nicht. Aber dieser Markt ist vielleicht nicht gross genug. Ich musste jedenfalls einige weite Stürze in Kauf nehmen, rückgesichert durch die üblichen Bohrhaken, und die Spectres rissen alle mit schmerzhaften Ergebnissen aus. Ich testete auch die neuen Ultralight Eisschrauben, die in normalem Wassereis sagenhaft funktionieren, aber auch sie fanden im Sprüheis keinen Halt. Mein Rücken und meine Brust sahen durch die Ausrüstung, die bei jedem Sturz am Seil auf mich herabrutschte schon bald so aus, als wäre eine Horde Hühner über mich hergefallen. Ein Erfolg erschien zweifelhaft.
Dann erinnerte ich mich an ein paar 50 cm lange Black Diamond-Eisschrauben, die ich bei einer Expedition in Grönland verwendet hatte. Damals nutzte ich diese Schrauben, um im weichen Eis besonders tiefe Eissanduhren zu bauen, ähnlich wie alpine Schneeanker oder Sandanker beim Canyoning, was tatsächlich funktioniert hatte! Jedenfalls flogen sie mir nicht um die Ohren, wenn ich stürzte. Die Physik dahinter ist mir noch immer nicht klar, aber es hat irgendwas mit der Lastverteilung über die Kurve des Seils auf das Eis zu tun. Es hört sich nach Voodoo an, aber es funktionierte!
Ich führte einige harte Tests durch und testete auch einen normalen, in einen Riss geschlagenen Spectre. Es schien zu funktionieren … wir waren wieder im Spiel.
Ausserdem testete ich Prototypen der neuen
Reactor Eisgeräte sowie drei neue Hauen. Ich glaube wirklich, dass wir als Eiskletterer in keiner besseren Zeit leben könnten.
Die neuen dünnen Hauen (die Natürliches Eis) sprengen viel weniger Eis weg als alle anderen Hauen. Sie dringen wie Pfeile in das Eis ein und machen dabei dieses unglaublich tolle „SSSST“. Genial. Auch die Schwungeigenschaften der Eisgeräte wurden wieder verbessert und die neuen Schrauben wiegen nur noch die Hälfte von meinen alten Schrauben! Ich klettere seit 35 Jahren im Eis, und noch nie hatten wir so tolle Ausrüstung!
Endlich konnte ich die erste Seillänge in diesem wilden, überhängenden Sprüheis mit einer Mischung aus sehr ungewöhnlicher Ausrüstung klettern: ein Spectre, verbunden mit einem fixierten Cobra Eisgerät, mit einer kurzen Eisschraube nach unten gehalten, vier Eissanduhren und einem Niagara Spectre, der solide aussah, den ich aber nach den ganzen Blessuren, die mir die andren verpasst hatten, nicht mehr testen wollte. Ich war zuversichtlich, dass die Eissanduhren soliden Halt boten, und obwohl wir keine Zeit mehr hatten weiter zu klettern, glaube ich, dass es möglich ist, noch mehr Routen an den Helmcken Falls ohne Bohrhaken zu klettern. Ich freue mich schon darauf, nächstes Jahr noch mehr Ausrüstung zu testen und eine Stimme der Vernunft dabeizuhaben, um das Unterfangen zu überleben.
Ein grosses Danke an Black Diamond für den Glauben an wilde, neue Ideen und die Produkttests. Wir blicken auf über 20 Jahre Abenteuer zurück und haben noch viele Jahre vor uns, egal wo wir klettern.
--BD AthleteWill Gadd